Poesie

Sundown

Auf dieser Seite sammeln wir Poetisches. Die Verse mögen heiter oder auch ernst und manchmal gar melancholisch sein, sie mögen sich reimen, oder auch nicht, sie mögen unsere Zustimmung oder aber unseren Widerspruch finden. So oder so werden sie aber durch die Kraft ihrer Gedanken lange in uns nachklingen.

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Und es kommt ein andrer Tag

Tröste dich, die Stunden eilen,
und was all dich drücken mag,
auch das Schlimmste kann nicht weilen,
und es kommt ein andrer Tag.

In dem ew'gen Kommen, Schwinden,
wie der Schmerz liegt auch das Glück,
und auch heitre Bilder finden
ihren Weg zu dir zurück.

Harre, hoffe. Nicht vergebens
zählest du der Stunden Schlag,
Wechsel ist das Los des Lebens,
und - es kommt ein andrer Tag.

Theodor Fontane

O lieb’, solang du lieben kannst!

O lieb’, so lang du lieben kannst!
O lieb’, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!

Und wer dir seine Brust erschließt,
O thu ihm, was du kannst, zu lieb!
Und mach’ ihm jede Stunde froh,
Und mach’ ihm keine Stunde trüb!

Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, –
Der Andre aber geht und klagt.

O lieb’, so lang du lieben kannst!
O lieb’, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und naß,
– Sie sehn den Andern nimmermehr –
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.

Und sprichst: O schau’ auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, daß ich gekränkt dich hab’!
O Gott, es war nicht bös gemeint!

Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!

Er that’s, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort –
Doch still – er ruht, er ist am Ziel!

O lieb’, so lang du lieben kannst!
O lieb’, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Ferdinand Freiligrath

Das Trauerspiel von Afghanistan

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.

Afghanistan! Er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all’,
Sir Robert sprach: Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So laßt sie’s hören, daß wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter blast in die Nacht hinaus!

Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd’,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen - es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.

Theodor Fontane

Aus der Glocke

Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.

Friedrich von Schiller (1759 - 1805)

Es ist alles eitel

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein,
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
Als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.
Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!

Andreas Gryphius (1616 - 1664) - Gedicht in modernisierter Fassung

Oft, in the stilly night

Oft, in the stilly night,
Ere Slumber's chain hath bound me,
Fond Memory brings the light
Of other days around me;
The smiles, the tears,
Of boyhood's years,
The words of love then spoken;
The eyes that shone,
Now dimm'd and gone,
The cheerful hearts now broken!
Thus, in the stilly night,
Ere Slumber's chain hath bound me,
Sad Memory brings the light
Of other days around me.

When I remember all
The friends, so link'd together,
I've seen around me fall
Like leaves in wintry weather;
I feel like one,
Who treads alone
Some banquet-hall deserted,
Whose lights are fled,
Whose garlands dead,
And all but he departed!
Thus, in the stilly night,
Ere Slumber's chain hath bound me,
Sad Memory brings the light
Of other days around me.

zur sinngemäßen deutschen Übersetzung

Thomas Moore

Das unbekannte Wesen

Er war kein Mann für dieses Wesen.
Sie war ein Buch,
er konnte es nicht lesen.

Kurt Tucholsky

Ach Liebste lass uns eilen

Ach Liebste, laß uns eilen,
Wir haben Zeit,
Es schadet uns verweilen
Uns beyderseit.

Der edlen Schönheit Gaben
Fliehen Fuß für Fuß,
Daß alles, was wir haben,
Verschwinden muß.

Der Wangen Ziehr verbleichet,
Das Haar wird greiß,
Der Augen Feuer weichet,
Die Brunst wird Eiß.

Das Mündlein von Corallen
Wird ungestalt,
Die Händ` als Schnee verfallen,
Und du wirst alt.

Drumb laß uns jetzt geniessen
Der Jugend Frucht,
Eh`als wir folgen müssen
Der Jahre Flucht.

Wo du dich selber liebest,
So liebe mich,
Gieb mir das, wann du giebest,
Verlier auch ich.

Martin Opitz (1597 - 1639)

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
in den Büros, als wären es Kasernen.

Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.
Und unsichtbare Helme trägt man dort.
Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.
Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!

Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will
- und es ist sein Beruf etwas zu wollen -
steht der Verstand erst stramm und zweitens still.
Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen!

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
und mit gezognem Scheitel auf die Welt.
Dort wird man nicht als Zivilist geboren.
Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.
Es könnte glücklich sein und glücklich machen?
Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein
und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.

Selbst Geist und Güte gibt's dort dann und wann!
Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.
Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.
Das will mit Bleisoldaten spielen.

Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
Was man auch baut - es werden stets Kasernen.
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!

Erich Kästner

Ein Augenblick - An Baucis

Ein erster flücht`ger Blick von ihr
Aus tiefen dunklen Augen,
Da war es schon gescheh`n mit mir,
Wie sollt ich selbst das glauben.

Sie lässt mich schmor`n, zieht sich zurück
In einen Panzer fest;
Vielleicht schenkt sie mir doch das Glück,
Wenn man sie bei sich lässt.

Und ja, sie hat mir zugelacht,
Ein Antlitz fein und zart.
Welch` Wahnsinn - was das mit mir macht,
Schlag ich jetzt aus der Art?

Das erste "Du", der erste Kuss,
Jetzt gibt es keinen Halt;
doch besser machten wir jetzt Schluss,
Bin ich schon gar so alt.

Sie aber will das gar nicht hör`n,
Verbietet mir den Mund.
So lass ich mich von ihr betör`n,
In Herz und Seele wund.

Sie schenkt mir ein gar kostbar` Gut,
Denn sie gibt für mich sich.
Und langsam fass` auch ich mir Mut
Ich Bruder Liederlich.

Ich riech` den Duft, der ihr entströmt,
Bin beinahe von Sinnen,
Ich lieb` es, wenn sie mich verwöhnt,
Ganz tief dort in ihr drinnen.

Wie kommt das nur, was ist passiert
Mit meiner seltsam Seel;
Warum hab ich mich nicht geniert,
Angst, dass ich sie nicht quäl.

Sie aber lacht die Ängste weg,
Und nimmt mich in den Arm.
Wo ist er nun, der große Schreck!
Stattdessen wird mir warm.

Ich weiß nicht, ob es richtig war,
Doch fühlt`s sich sehr gut an,
Vergrabe mich in ihrem Haar
Und bin ganz einfach Mann.

So könnt es ewig weitergeh`n
Mit Wirklichkeit und Traum,
Nicht wissend, was wird einst gescheh`n
mit uns im Liebesschaum.

Wir geben uns in Gottes Hand,
das Schicksal wiegt nicht schwer,
die Liebe ist ein gutes Pfand
im wilden Lebensmeer.

Philemon

Und auf einmal steht es neben dir

Und auf einmal merkst du äußerlich,
wieviel Kummer zu dir kam.
Wieviel Freundschaft leise von dir wich,
alles Lachen von dir nahm.

Fragst verwundert in die Tage.
Doch die Tage hallen leer.
Dann verkümmert deine Klage...
Du fragst niemanden mehr.

Lernst es endlich, dich zu fügen,
von den Sorgen gezähmt.
Willst dich selbst nicht belügen
und erstickst, was dich grämt.

Sinnlos, arm erscheint das Leben dir,
längst zu lange ausgedehnt.
Und auf einmal steht es neben dir,
an dich angelehnt.
Was? Das, was du so lange ersehnt

Joachim Ringelnatz

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Schlussstück

Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns
mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

Rainer Maria Rilke

Make Our Garden Grow

You've been a fool
And so have I,
But come and be my wife.
And let us try,
Before we die,
To make some sense of life.
We're neither pure, nor wise, nor good
We'll do the best we know.
We'll build our house and chop our wood
And make our garden grow...
And make our garden grow.

I thought the world
Was sugar cake
For so our master said.
But, now I'll teach
My hands to bake
Our loaf of daily bread.

We're neither pure, nor wise, nor good
We'll do the best we know.
We'll build our house and chop our wood
And make our garden grow...
And make our garden grow.

Let dreamers dream
What worlds they please
Those Edens can't be found.
The sweetest flowers,
The fairest trees
Are grown in solid ground.

We're neither pure, nor wise, nor good
We'll do the best we know.
We'll build our house and chop our wood
And make our garden grow.
And make our garden grow!

aus: Candide - Bernstein nach Voltaire

Die Welt

Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?
Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen,
Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht,

Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen,
Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt,
Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen,
Ein faules Grab, so Alabaster deckt.

Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen
Und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm, Seele, komm und lerne weiter schauen,
Als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt!

Streich ab von dir derselben kurzes Prangen,
Halt ihre Lust für eine schwere Last:
So wirst du leicht in diesen Port gelangen,
Da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt.

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616 - 1679)

Eure Etüden

Eure Etüden,
Arpeggios, Dankchoral
sind zum Ermüden
und bleiben rein lokal.

Das Krächzen der Raben
ist auch ein Stück -
dumm sein und Arbeit haben:
das ist das Glück.

Das Sakramentale -
schön, wer es hört und sieht,
doch Hunde, Schakale
die haben auch ihr Lied.

Ach, eine Fanfare,
doch nicht an Fleisches Mund,
daß ich erfahre,
wo aller Töne Grund.

Gottfried Benn

Emergency Exit(-us)

Die Schwüre wurden zum Geschwür,
statt Heilung fand nur Schminke statt.
Der Notausgang ist eine Tür,
die außen keine Klinke hat.

Du warst gewarnt. Du hast gewählt.
Die Konsequenz war dir bewusst.
Du weißt, du hast dein Ziel verfehlt,
du willst nicht weitergehn – du musst.

Der ohne Rückweg bist jetzt du.
Du hattest Mut, doch keine Zeit.
Die Tür ging auf, die Tür ging zu …
Jetzt bist du draußen und es schneit.

Frithjof Northmann (aus "Lebend kriegt der Tod mich nicht)

Die unmögliche Tatsache

Und er kommt zu dem Ergebnis:
Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.

Christian Morgenstern (aus "Palmström")

Lebensgefahr

"Wird`s besser? Wird`s schlimmer?"
fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich:
Leben ist immer
lebensgefährlich!

Erich Kästner

Sehnsucht? Oder Illusion?

Ich seh` ein Land mit neuen Bäumen.
Ich seh` ein Haus aus grünem Strauch.
Und einen Fluss mit flinken Fischen.
Und einen Himmel aus Hortensien seh` ich auch.

Ich seh` ein Licht von Unschuld weiß.
Und einen Berg, der unberührt.
Im Tal des Friedens geht ein junger Schäfer,
der alle Tiere in die Freiheit führt.

Ich hör` ein Herz, das tapfer schlägt,
in einem Menschen, den es noch nicht gibt,
doch dessen Ankunft mich schon jetzt bewegt.
Weil er erscheint und seine Feinde liebt.

Das ist die Zeit, die ich nicht mehr erlebe.
Das ist die Welt, die nicht von uns`rer Welt.
Sie ist aus feinstgesponnenem Gewebe,
und Freunde, glaubt und seht: sie hält.

Das ist das Land, nach dem ich mich so sehne,
das mir durch Kopf und Körper schwimmt,
mein Sterbenswort und meine Lebenkantilene,
dass jeder jeden in die Arme nimmt.

Hans Dieter Hüsch

Die Engel

Freilich, ein ungläub`ger Thomas,
Glaub ich an den Himmel nicht,
Den die Kirchenlehre Romas
Und Jerusalems verspricht.

Doch die Existenz der Engel,
die bezweifelte ich nie:
Lichtgeschöpfe sonder Mängel,
hier auf Erden wandeln sie.

Nur, gnäd`ge Frau, die Flügel
Sprech ich jenen Wesen ab;
Engel gibt es ohne Flügel,
wie ich selbst gesehen hab.

Lieblich mit den weißen Händen,
Lieblich mit dem schönen Blick
Schützen sie den Menschen, wenden
Von ihm ab das Mißgeschick.

Ihre Huld und ihre Gnaden
Trösten jeden, doch zumeist
Ihn, der doppelt qualbeladen,
Ihn, den man den Dichter heißt.

Heinrich Heine

Farbenspiel

Von allen Farben, an die man glauben kann,
kommt das Laubige grad am besten an.
Doch es gab auch mal eine Zeit,
da war das Feurige weitverbreitet.
Und jeder Farbe Jüngerschar
Glaubt, ihre Farbe allein sei wahr.
Ab sofort wird zurückgeglaubt.
Wer lauter glaubt als erlaubt,
dem wird auf das Haupt gehaut.
Denn darum geht`s doch bei der Glauberei,
dass der eine lauter als der andre sei.

Rockband Fehlfarben

Zeit

Ein Rauch verweht,
ein Wasser verrinnt,
eine Zeit vergeht,
eine neue beginnt.

Joachim Ringelnatz

Mondnacht

Es war, als hätte der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff

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Allein

Da waren doch so viele Tage,
und sie verflogen im Nu.
Und jetzt bleibt die quälende Frage:
Wozu?

Wozu nur dieses Gegockel
und all` die Angeberein.
Am Ende fällst du vom Sockel,
allein.

Alleine mit deinen Migränen,
trotz Rente und Zugewinn.
Es fehlte den Lebensplänen
der Sinn.

Askese und Ekstase,
du warst nie wesentlich.
Nur eine Seifenblase,
dein Ich.

Das meiste war unverständlich,
trotz Stunden des Lichts.
Wie alles zerfällst du letztendlich
ins Nichts.

Warum sich ans Leben krallen,
laß aus und laß dich ein.
Du findest nur im Zerfallen
dein Sein.

Konstantin Wecker

Blaue Stunde

Ich trete in die dunkelblaue Stunde -
da ist der Flur, die Kette schließt sich zu
und nun im Raum ein Rot auf einem Munde
und eine Schale später Rosen - du!

Wir wissen beide, jene Worte,
die jeder oft zu anderen sprach und trug,
sind zwischen uns wie nichts und fehl am Orte:
Dies ist das Ganze und der letzte Zug.

Das Schweigende ist so weit vorgeschritten
und füllt den Raum und denkt sich selber zu
die Stunde - nichts gehofft und nichts gelitten -
mit ihrer Schale später Rosen - du.

Dein Haupt verfließt, ist weiß und will sich hüten,
indessen sammelt sich auf deinem Mund
die ganze Lust, der Purpur und die Blüten
aus deinem angeströmten Ahnengrund.

Du bist so weiß, man denkt, du wirst zerfallen
vor lauter Schnee, vor lauter Blütenlos,
todweiße Rosen Glied für Glied - Korallen
nur auf den Lippen, schwer und wundergroß.

Du bist so weich, du gibst von etwas Kunde,
von einem Glück aus Sinken und Gefahr
in einer blauen, dunkelblauen Stunde
und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war.

Ich frage dich, du bist doch eines andern,
was trägst du mir die späten Rosen zu?
Du sagst, die Träume gehn, die Stunden wandern,
was ist das alles: er und ich und du?

"Was sich erhebt, das will auch wieder enden,
was sich erlebt - wer weiß denn das genau,
die Kette schließt, man schweigt in diesen Wänden
und dort die Weite, hoch und dunkelblau."

Gottfried Benn

Der Gefangene

Ich hab's mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen:
Sich fügen heißt lügen!

Ich soll? Ich muß? – Doch will ich nicht
nach jener Herrn Vergnügen.
Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht.
Rebellen kennen beßre Pflicht,
als sich ins Joch zu fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Der Staat, der mir die Freiheit nahm,
der folgt, mich zu betrügen,
mir in den Kerker ohne Scham.
Ich soll dem Paragraphenkram
mich noch in Fesseln fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Stellt doch den Frevler an die Wand!
So kann's euch wohl genügen.
Denn eher dorre meine Hand,
eh ich in Sklavenunverstand
der Geißel mich sollt fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Doch bricht die Kette einst entzwei,
darf ich in vollen Zügen
die Sonne atmen – Tyrannei!
Dann ruf ich's in das Volk: Sei frei!
Verlern es, dich zu fügen!
Sich fügen heißt lügen!

Erich Mühsam, 1934 von den Nazis ermordet

Cello song

Strange face, with your eyes
So pale and sincere.
Underneath you know well
You have nothing to fear.
For the dreams that came to you when so young
Told of a life
Where spring is sprung.

You would seem so frail
In the cold of the night
When the armies of emotion
Go out to fight.
But while the earth sinks to its grave
You sail to the sky
On the crest of a wave.

So forget this cruel world
Where I belong
I'll just sit and wait
And sing my song.
And if one day you should see me in the crowd
Lend a hand and lift me
To your place in the cloud.

Nick Drake, aus "Five Leaves Left", 1969

Der Machtwechsel

Auch wenn das Gras noch aufwärts ragt:
Das Land liegt flach und atmet schwer.
Ein jeder Tag wird nur vertagt,
Weil die Erfahrung allen sagt:
Die Wahrheit stimmt erst hinterher.

Im Kühlschrank liegt Erinnerung.
Die Uhr bleibt stehen, doch nicht die Zeit.
Die Abrißbirnen holen Schwung,
Sie warten auf Betätigung.
Sie sind bewährt. Sie sind bereit.

Ein neuer Götze tritt ans Licht,
Das ringsum aus der Lampe fließt.
Er lacht. Entsichert sein Gesicht.
Und schießt.

Frithjof Northmann (aus "Fernschach via Flaschenpost")

Kind, du bist uns anvertraut

Kind, du bist uns anvertraut,
wozu werden wir dich bringen?
Wenn du deine Wege gehst,
wessen Lieder wirst du singen?
Welche Worte wirst du sagen
und an welches Ziel dich wagen?

Heinrich Heine

Sinnsprüche

Ein bißchen mehr Freude

Ein bißchen mehr Freude und weniger Streit,
ein bißchen mehr Güte und weniger Neid,
ein bißchen mehr Liebe und weniger Haß,
ein bißchen mehr Wahrheit, das wäre doch was.

Statt so viel Unrast ein bißchen mehr Ruh`,
statt immer nur ich ein bißchen mehr du,
statt Angst und Hemmung ein bißchen mehr Mut,
und Kraft zum Handeln, das wäre gut!

Kein Trübsal und Dunkel, ein bißchen mehr Licht,
kein quälend` Verlangen, ein froher Verzicht,
und viel mehr Blumen, solange es geht,
nicht erst auf Gräbern, denn da blühn sie zu spät.

(Peter Rosegger, 1843

Trotz alledem

Ob Armut euer Los auch sei,
Hebt hoch die Stirn, trotz alledem!
Geht kühn den feigen Knecht vorbei;
Wagt’s, arm zu sein trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz niederm Plack und alledem,
Der Rang ist das Gepräge nur,
Der Mann das Gold trotz alledem.

Und sitzt ihr auch beim kargen Mahl
In Zwilch und Lein und alledem,
Gönnt Schurken Samt und Goldpokal –
Ein Mann ist Mann trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Prunk und Pracht und alledem!
Der brave Mann, wie dürftig auch,
Ist König doch trotz alledem!

Heißt "gnäd’ger Herr" das Bürschchen dort,
Man sieht’s am Stolz und alledem;
Doch lenkt auch Hunderte sein Wort,
’s ist nur ein Tropf trotz alledem!
Trotz alledem und alledem!
Trotz Band und Stern und alledem!
Der Mann von unabhängigem Sinn
Sieht zu, und lacht zu alledem!

Ein Fürst macht Ritter, wenn er spricht,
Mit Sporn und Schild und alledem:
Den braven Mann kreiert er nicht,
Der steht zu hoch trotz alledem:
Trotz alledem und alledem!
Trotz Würdenschnack und alledem –
Des innern Wertes stolz Gefühl
Läuft doch den Rang ab alledem!

Drum jeder fleh‘, daß es gescheh‘,
Wie es geschieht trotz alledem,
Daß Wert und Kern, so nah wie fern,
Den Sieg erringt trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Es kommt dazu trotz alledem,
Daß rings der Mensch die Bruderhand
Dem Menschen reicht trotz alledem!

Ferdinand Freiligrath (1843)

Der Mond ist aufgegangen

Siehst du den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind gar manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht seh`n.

Matthias Claudius

Irren durch Selbstüberschätzung

Wenn einer, der mit Mühe kaum
geklettert ist auf einen Baum,
schon meint, dass er ein Vogel wär,
so irrt sich der.

Wilhelm Busch

Komm, Trost der Nacht

Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall,
Laß deine Stimm mit Freudenschall,
Aufs lieblichste erklingen;
Komm, komm, und lob den Schöpfer dein,
Weil andre Vöglein schlafen sein,
Und nicht mehr mögen singen!
Laß dein Stimmlein,
Laß erschallen, dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.

Obschon ist hin der Sonnenschein,
Und wir im Finstern müssen sein,
So können wir doch singen;
Von Gottes Gut und seiner Macht,
Weil uns kann hindern keine Macht,
Sein Lob zu vollenbringen.
Drum dein Stimnilein,
Laß erschallen, dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Hinirnel hoch dort oben.

Echo, der wilde Widerhall
Will sein bei diesem Freudenschall,
Und lasset sich auch hören;
Verweist uns alle Müdigkeit,
Der wir ergeben allezeit,
Lehrt uns den Schlaf betören.
Drum dein Stimmlein,
Laß erschallen, dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.

Die Sterne, so am Himmel stehn,
Sich lassen zum Lob Gottes sehn,
Und Ehre ihm beweisen,
Die Eul auch die nicht singen kann,
Zeigt doch mit ihrem Heulen an,
Daß sie Gott auch tu preisen.
Drum dein Stimmlein,
Laß erschallen, dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.

Nur her, mein liebstes Vögelein,
Wir wollen nicht die faulste sein,
Und schlafend liegen bleiben,
Vielmehr bis daß die Morgenrot,
Erfreuet diese Wälder öd,
In Gottes Lob vertreiben.
Laß dein Stimmlein,
Laut erschallen, dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622-1676),

Ordnung und Zerfall

Wir ordnens. Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.

Rilke, Duineser Elegien

Überlass es der Zeit

Erscheint dir etwas unerhört,
bist tiefsten Herzens du empört,
bäum dich nicht auf,
versuch`s nicht mit Streit,
berühr es nicht, überlass es der Zeit.
Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
am zweiten lässt du dein Schweigen gelten,
am dritten hast du`s überwunden;
alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.

Theodor Fontane

Von der Pflicht

Ich schlief und träumte, das Leben wäre Freude.
Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht.
Ich handelte und sah, die Pflicht war Freude.

Quelle unbekannt

Leben ist lassen:

Fragen offen lassen,
Angst loslassen,
Sehnsucht zulassen,
Bekanntes verlassen,
um sich auf Unbekanntes einzulassen,
Altes sterben zu lassen,
um neues auferstehen zu lassen.
Unwesentliches weglassen,
um Wesentliches durchzulassen.

Benedikt W. Traut

Die Nacht

Ich wandre durch die stille Nacht,
Da schleicht der Mond so heimlich sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
Und hin und her im Tal Erwacht die Nachtigall,
Dann wieder alles grau und stille.

O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Ströme Gang,
Leis Schauern in den dunklen Bäumen -
Wirrst die Gedanken mir,
Mein irres Singen hier
Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

Joeseph von Eichendorff

Labsal durch Kampf, Mühe und Arbeit

All` Labsal, was uns hier beschieden,
fällt nur in Kampf und Streit uns zu;
nur in der Arbeit wohnt der Frieden,
und in der Mühe wohnt die Ruh`.

Theodor Fontane

Es gibt nur eine Großmacht auf Erden - nämlich die Liebe

Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich.
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos.
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart.
Wahrheit ohne Liebe macht kritisch.
Erziehung ohne Liebe macht widerspruchsvoll.
Klugheit ohne Liebe macht gerissen.
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch.
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich.
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch.
Macht ohne Liebe macht gewalttätig.
Ehre ohne Liebe macht hochmütig.
Besitz ohne Liebe macht geizig.
Glaube ohne Liebe macht fanatisch.

Himmlische Mächte

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
wer nie die kummervollen Nächte
auf seinem Bette weinend saß,
der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!

J. W. v. Goethe

Über allen Wipfeln ist Ruh

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Johann Wolfgang von Goethe

Baum-Bork

Änderung

Es wird sich ändern - ich versprech Dir, dass sich etwas ändern wird.
Aus der Gefühllosigkeit, die Du kennst,
wird diese Stimmung wieder erwachen,
und dann wird alles....

Ein neuer Wind wird über der Stadt wehen,
so viel Lust einander zu umarmen
und miteinander laut heraus zu lachen vor Glück.

Nur die Kraft, daran zu glauben, ist es,
die dem Mut zu Leben einen Sinn gibt;
es ist nur die Kraft, immer wieder zu beharren
und nie aufzugeben.

Du siehst es bald, es wird sich ändern.
Ich glaube daran, dass sich etwas ändern wird.

Pippo Pollina, “Cambiera”, Il Giorno del Falco

Gudrun und Theo

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf` um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zum Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse

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